Fachliches

Teilhabeorientierte Lebensqualität

Im Birkenhof werden die KlientInnen nach anerkannten agogischen Erkenntnissen begleitet und gefördert. Die Lebensqualitätskonzeption, wie sie Curaviva in Zusammenarbeit mit der Universität Zürich ausgearbeitet hat, ist ein geeignetes Instrument, um das oberste Ziel der Stiftung Birkenhof Berg zu verwirklichen: die Lebensqualität unserer Klientinnen und Klienten.

Grundlagen

Objektive und subjektive Faktoren

Die Lebensqualität von Menschen mit Unterstüt­zungsbedarf stützt sich – wie bei allen Menschen – auf zwei Grundpfeiler: auf objektive und auf subjek­tive Faktoren (Curaviva, 2017, vgl. auch Schäfers, 2008). Objektive Faktoren sind solche, die von aussen auf den Menschen einwirken. Dazu gehören zum Beispiel die natürlichen Bedingun­gen wie die geografische Lage, die politischen Gege­benheiten sowie technische, psychosoziale, soziokul­turelle und weitere Faktoren. Subjektive Faktoren sind individuelle Voraussetzungen und Determinanten des einzelnen Menschen. Also beispielsweise Geschlecht, politische oder religiöse Überzeu­gungen, Biografie, Vermögen, Begabung und Gesund­heit – aber auch die Beurteilung des eigenen Lebens anhand von Werten und Zielen, die der eigenen Auf­fassung eines guten Lebens zugrunde liegen.

Darüber hinaus sind heute grundsätzlich alle Auffas­sungen von Lebensqualität auch an die Überzeugung gekoppelt, dass sich das individuelle Wohl direkt an gesellschaftlichen und somit gestaltbaren Faktoren (z. B. Autonomie und Solidarität) und daraus entste­henden Voraussetzungen (z. B. Sensibilisierung und entsprechende Politik im Umgang mit Themen des Alters oder der Behinderung) und Strukturen (z. B. technische und sprachliche Ermöglichung von Teil­habe) orientiert.

Jedes Verständnis von Lebensqualität bündelt objek­tive und subjektive Faktoren und muss aufzeigen, zwi­schen welchen Polen sich die Einschätzung eines gu­ten Lebens abspielt und in welchen Dimensionen es stets zu neuen Aushandlungs- beziehungsweise Kon­kretisierungsprozessen kommen muss. Wobei davon auszugehen ist, dass sich diese Aushandlungs- und Konkretisierungsprozesse vor allem im Spannungsfeld zwischen individuellem Wohl und Gemeinwohl ab­spielen werden.

Dieser Lern- und Entwicklungsprozess bedeutet eine grosse Herausforderung für die Mitarbeitenden, die mit Menschen mit Unterstützungsbedarf zu tun haben. Denn sie arbeiten nicht nur an sich selbst. Sie tragen auch die Verantwortung dafür, gemeinsam mit den Menschen mit Unterstützungsbedarf eine Ba­lance zwischen individueller Autonomie sowie Teil­habe an der Gesellschaft auf der einen Seite und Sicherheit sowie Unterstützung auf der anderen Seite zu finden (Curaviva, 2017).

Lebensqualität als multifaktorielles Geflecht

In den letzten Jahren flossen Erkenntnisse aus der medi­zinischen Gesundheitsforschung und aus der soziolo­gisch-quantitativen Wohlfahrtsforschung in die sozialwissenschaftliche Lebensqualitätsforschung ein. Diese versteht Lebensqualität als Geflecht objektiver und subjektiver Faktoren. Sie erkennt also die Zusammen­hänge zwischen psychischen und sozialen Indikatoren, objektiven Lebensbedingungen und subjektivem Wohlbefinden.

Das bedeutet, dass Lebensqualität als Konstrukt aus objektiven Lebensbedingungen, subjektiven Bedürf­nislagen sowie persönlichen Werten, Wünschen und Normen zu verstehen ist. Dies gilt auch für die Lebens­qualitätskonzeption für Menschen mit einem beson­deren Bedarf an Förderung, Unterstützung, Betreuung, Pflege und Begleitung.

Das Lebensqualitätsmodell soll als Referenz verwen­det werden können, um die Bedürfnisse von Menschen in besonderer Abhängigkeit mit ihren individuellen Präferenzen und Ressourcen in Beziehung zu setzen. In diesem Sinne hat das Modell gleichermassen Gültig­keit für schwer pflege- und betreuungsbedürftige Men­schen mit starken kognitiven und kommunikativen Be­einträchtigungen wie auch für leicht körperbehinderte Menschen, welche auf punktuelle Begleitungen ange­wiesen sind – unabhängig von Alter, Geschlecht oder Status (Curaviva, 2017).

Zentrale Rechte für Menschen mit Unterstützungsbedarf

Das Recht auf Leben

Eine wesentliche Rolle beim Recht auf Leben wird heute der Freiheit zugeschrieben, Entscheidungen aufgrund eigener Wünsche und Vorstellungen zu treffen.

 

Das Recht auf Bildung

Die Menschenrechte fordern Zugang zur Bildung für alle, unabhängig von Status, Geschlecht und Fähigkei­ten.

 

Das Recht auf Sicherheit

Eine wesentliche Rolle für die eigene Lebensqualität wird heute dem solidarischen Handeln zugeschrieben, das Schutz und Sicherheit für alle bietet, unabhängig von Status, Geschlecht, Lebenssituation und Gesund­heit.

 

Das Recht auf Teilhabe

Die individuelle Lebensqualität ist abhängig von der Teilhabe am sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben. Weitere wichtige Bewertungsgrundlagen von Lebensqualität sind die Partizipation an der Gesell­schaft durch angemessene Arbeit und der Zugang zum Gesundheits-, Bildungs- und Rechtssystem sowie allen weiteren Bereichen des gesellschaftlichen Lebens.

(Curaviva, 2014)

 

Teilhabe wurde bereits im Jahr 2018 als Leitkonzept in der Stiftung Birkenhof Berg eingeführt. Dem Teilhabegedanken soll daher auch in der Lebensqualitätskonzeption eine besondere Stellung zukommen.

Teilhabe

Grampp et al. (2013, S. 15ff.) berichten, dass die politisch korrekte Bedeutung von Teilhabe «Einbezogensein» ist. Das Einbezogensein von Anfang an soll allumfassend und durch adäquate Massnahmen verwirklicht werden. In diesem Sinne müssen alle Lebensbereiche so gestaltet werden, dass möglichst alle Menschen gleichberechtigt teilhaben können. Der Begriff Teilhabe besteht aus vier verschiedenen Bestandteilen. Inklusion: Einbeziehung behinderter Menschen in Lebensbereiche nach Veränderung der Verhältnisse in diesen Lebensbereichen. Integration: Eingliederung behinderter Menschen in Lebensbereichen nach Veränderung des Verhaltens dieser Menschen. Partizipation: Beteiligung behinderter Menschen in Lebensbereichen, um ihre Interessen einzubringen und zu verwirklichen. Subvention: Unterstützung durch Leistungen der Gesellschaft zur Förderung von Inklusion und Integration in Lebensbereiche (ebd.).

Durch die Beteiligung unserer Klientinnen und Klienten an verschiedenen Entscheidungsprozessen, die Berücksichtigung ihrer individuellen Bedürfnisse, Wünsche und Interessen und die Rücksichtnahme auf ihre Lebenswelt, wird ein wichtiger Pfeiler für eine verbesserte Teilhabe geschaffen.

 

Der Aspekt der Integration wird in der Stiftung Birkenhof ebenfalls berücksichtigt. Durch die Unterstützung bei der Aneignung sozialer Kompetenzen wird eine Erleichterung für die Eingliederung von Menschen mit (geistiger) Behinderung in verschiedene soziale Systeme erreicht.

 

Die Inklusion (also das «Einbezogensein») soll in erster Linie mithilfe des Teilhabegedankens (alle Bewohner in alle Angelegenheiten ihrer Lebensbereiche einbeziehen) und entsprechenden Projekten, wie z.B. das Teilhabeprozent, erreicht werden.

Teilhabeorientierte Lebensqualitäskonzeption

Trotz verschiedener theoretischer Ansatzpunkte zeich­net sich in der sozialwissenschaftlichen Forschung ein Konsens bezüglich der relevanten Faktoren von Lebens­qualität ab. Zusammenfassend lassen sich folgende vier Kernbereiche herausschälen:

  • Menschenwürde und Akzeptanz
    Bedingungslose Wahrung der Menschenwürde. Akzeptanzförderliche Aktivitäten. Respektvoller Umgang mit sich selbst und anderen.
  • Entwicklung und Dasein
    Selbsttätigkeit und Autonomie. Befähigung zur Entwicklung von Kompetenzen sowie zur Wahrnehmung und Äusserung von Bedürfnissen.
  • Funktion und Gesundheit
    Pflegerische, medizinische und agogische Angebote. Hygiene und Ernäh­rung. Soziales und psychisches Wohlergehen, Mobili­tät sowie Aktivität und Entspannung.
  • Anerkennung und Sicherheit
    Förderung von Selbstachtung und Selbstsicherheit. Den Fähigkeiten entsprechende Anforderungen. Schutz- und Begleit­massnahmen.

 

Eine Lebensqualitätskonzeption für Menschen mit Un­terstützungsbedarf muss von diesen Bereichen ausge­hen und die dafür notwendigen Voraussetzungen aus­arbeiten und sichern.

 

Jedem der vier Bereiche wird explizit eine Teilhabeorientierung entsprechend dem bestehenden Leitkonzept hinzugefügt.

Die Klientinnen und Klienten werden bei allen Tätigkeiten so weit wie möglich einbezogen. Bei Themen, die ausser ihnen auch noch andere betreffen, erhalten sie Informationen und Mitsprachemöglichkeiten. Bei Themen, die sie als einzelne betreffen, werden sie dabei begleitet möglichst eigenständige (autonome) Entscheidungen zu treffen – dies unter Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse und Fähigkeiten. Die Befähigung zu einem möglichst selbstbestimmten Leben und zu echter Teilhabe stellt ein wichtiges Ziel dar, welches über alle Kategorien der Lebensqualitätskonzeption Gültigkeit besitzt.

Quellenverzeichnis

Curaviva Schweiz (2017). Lebensqualitätskonzeption für Menschen mit Unterstützungsbedarf. Aufgerufen am 23.08.20 unter https://www.curaviva.ch/files/P9VUIZ0/lebensqualitaetskonzeption__curaviva_schweiz__2017.pdf.

 

Grampp, G., Jackstell, S. & Wöbke, N. (2013). Teilhabe, Teilhabemanagement und die ICF. (1 Aufl). Bonn: Balance-Buch-und-Medien-Verl.

 

Schäfers, Markus (2008). Lebensqualität aus Nutzersicht. Wie Menschen mit geistiger Behinderung ihre Lebenssituation beurteilen. (1. Aufl.). Wiesbaden: VS

Unser ganzes Wirken zielt auf eine hohe Lebensqualität der Klientinnen und Klienten ab.

Auszug aus dem Leitbild der Stiftung Birkenhof Berg

Gesundheitsförderung

Die Stiftung Birkenhof Berg legt grossen Wert auf die Förderung der Gesundheit ihrer KlientInnen. Genügend Bewegung, eine ausgewogene Ernährung, aber auch Entspannung und Begegnung sind Grundvoraussetzungen für Gesundheit und damit für Lebensqualität.

 

 

Im Jahr 2016 und 2019 haben KlientInnen und Angestellte gemeinsam am Meingleichgewicht-Award von Migros Kulturprozent teilgenommen. Dabei werden schweizweit Institutionen ausgezeichnet, welche eine herausragende Gesundheitsförderung für Ihre KlientInnen betreiben.

Wir freuen uns, dass wir bereits zum zweiten Mal ausgezeichnet wurden.

Die Stiftung Birkenhof Berg legt grossen Wert auf die Förderung der Gesundheit ihrer KlientInnen.

Aljoscha Nyima, Institutionsleiter

Zwischen Verstehen und Verändern

Dr. Jan Glasenapp - Fachtagung der Stiftung Birkenhof Berg

Die Tagung richtet sich in erster Linie an Fachpersonen, welche in ihrem Alltag Menschen mit geistiger Beeinträchtigung und Schwierigkeiten in der Emotionsregulation (Borderline) begleiten. Sie ist jedoch auch für Angehörige und Bekannte von betroffenen Personen sowie für StudentInnen und andere Interessierte geeignet. Dr. Jan Glasenapp zeigt in seinen Referaten auf, wie BegleiterInnen mit den Erkenntnissen aus der Dialektisch-Behavioralen Therapie (DBT) einen besseren Zugang zu Menschen mit geistiger Beeinträchtigung und Schwierigkeiten in der Emotionsregulation (Borderline) finden können. Erst auf der Basis des Verstehens ergibt sich die Möglichkeit zur Veränderung. Die DBT liefert hierfür wichtige Ansatzpunkte, welche den Alltag für Betroffene und BegleiterInnen erleichtern. Diese haben sich auch ausserhalb eines therapeutischen Settings als hilfreich erwiesen und sind inzwischen in der Praxis erprobt. Die Fachtagung wurde von der Stiftung Birkenhof Berg durchgeführt, welche ein Wohnheim und eine Tagesstätte für Menschen mit einer geistigen Behinderung führt.

Adresse und Kontakt

Stiftung Birkenhof Berg
Birkenweg 7
8471 Berg (Dägerlen)

+41 52 305 12 40
E-Mail